The Case of the Vanishing Gods
„... mit Freud dringt die Fremdheit, das Unheimliche, unmerklich in die Ruhe und Gelassenheit der Vernunft selbst ein“, schreibt die Philosophin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva in ihrem Buch „Fremde sind wir uns selbst”. Hugo, eine verstörte Bauchrednerpuppe, kann ein Lied davon singen. Der Arme leidet unter einer schweren Identitätskrise. Dem Zusammenbruch nahe, sucht er Hilfe bei Dr. Labyrinth, der verpixelten Version eines menschlichen Psychoanalytikers, dem es durch Hypnose gelingt, Hugos verschütteten Erinnerungen ans Licht zu bringen. Aber worum nur geht es in diesem eigenwilligen, jegliches Genre überschreitenden Film? Zunächst einmal um die faszinierende Geschichte der Bauchrednerkunst von ihren dämonisch-göttlichen Anfängen bis zur modernen Unterhaltungskunst. Die Erkundung der sinistren Beziehung von Puppe und Spieler führt jedoch über das Thema der Bauchrednerkunst hinaus. Hugos persönliches Leid verweist auf ein grundsätzliches Problem: das instabile Verhältnis zwischen Realität, Imitation und Imagination. Mit Leichtigkeit schlägt Ross Lipman („Notfilm”, DOKUARTS 2016) hier den Bogen zum Film, zur Beziehung zwischen Film und Leben. Seine brillante Verknüpfung von Szenen aus Horrorfilmen, Archivmaterial und Puppentollheit ist Dokument, Fiktion, Traumdeutung und philosophische Betrachtung in einem. Auf die Ruhe und Gelassenheit der Vernunft müssen wir auch in diesem Film verzichten. Dafür gibt es Staunen, Lachen und ein bisschen Gänsehaut: Expect the Unexpected!
Ross Lipman
Ross Lipman ist Filmemacher, Essayist und Archivar. Als ehemaliger leitender Filmrestaurator am UCLA Film & Television Archive hat er zahlreiche Filme restauriert, darunter Charles Burnetts "Killer of Sheep", Kent Mackenzies "The Exiles", "The Times of Harvey Milk" sowie Werke von Charlie Chaplin, Orson Welles, Shirley Clarke, Kenneth Anger, Barbara Loden, Robert Altman, Bruce Conner und John Cassavetes. Lipmans Filme wurden u.a. auf dem Locarno Film Festival, den Balazs Bela Studios in Budapest, dem Academy Film Archive oder den Anthology Film Archives aufgeführt und gesammelt. Sein Dokumentarfilm "Notfilm" (2015) wurde auf dem London International Film Festival uraufgeführt und bei DOKUARTS als Deutschlandpremiere gezeigt. Lipmans Schriften über Filmgeschichte, Technologie und Ästhetik wurden in Artforum, Sight and Sound und zahlreichen akademischen Büchern und Zeitschriften veröffentlicht. Seine jüngste Live-Dokumentation, "The Exploding Digital Inevitable on Bruce Conner's Crossroads", wurde 2017 auf dem Rotterdam International Film Festival uraufgeführt und war 2018 Teil der Filmauswahl von DOKUARTS.